Der schönste Tornado den ich je live sah!

Heute stand die letzte Schwergewitterlage unserer Chasingtour 2010 an. Das SPC hatte gestern für heute ein Moderate Risk für das Zentral Oklahoma herausgegeben. Die Tornadowahrscheinlichkeit war sogar noch höher als gestern. Wir mussten uns beeilen, denn die Gewitterzellen sollten schon am Nachmittag entstehen und bis dahin waren noch ca.200 Meilen zurückzulegen. Trotzdem fuhren wir erst gegen 11:30 Uhr los. Die anderen kamen auch nicht eher in die Puschen, denn auf der Interstate Richtung Osten überholten uns viele Fahrzeuge des Vortex 2 Projektes, die es ebenfalls sehr eilig hatten. Gegen 15 Uhr trafen wir im Zielgebiet ein. An einer Tankstelle, südlich von Watonga, wollten wir nochmals checken, wohin wir uns orientieren sollten. Das Moderate Risk war inzwischen zu einem High Risk hochgestuft worden.

Über uns begannen die Wolken in die Höhe zu wachsen. Wir schauten auf das Radar, ob es bereits erste Anzeichen von Auslöse gab. Erste Anzeichen war gut, denn in West-Oklahoma südlich von Woodward war bereits die erste Superzelle mit einer Tornadowarnung unterwegs. Wir fackelten nicht lange und brachen sofort in diese Richtung auf. Wie einige andere Chaser auch. Wir hielten auf Watonga zu, wo wir nach Westen abbiegen wollten. Die Strecke kannten wir mittlerweile schon auswendig, schließlich waren wir sie schon zweimal auf dieser Tour gefahren. Diese Region scheint uns Glück zu bringen. Mal sehen, was uns heute hier erwarten würde. Im Nordosten ging schnell ein neuer Aufwindturm hoch. Die Quellungen sahen imposant aus.

 

Wir konnten der Zelle beim wachsen zu sehen. Sie wurde immer größer und mächtiger. In Watonga mussten wir uns nun für eine Zelle entscheiden. Sollten wir die ältere Zelle mit der Tornadowarnung nordwestlich von uns anfahren, oder lieber die neue Entwicklung im Nordosten? An der älteren Zelle waren bestimmt die ganzen Chaser dran und es würde ein heilloses Chaos herrschen.

Per Funk beschlossen wir auf die jüngere Zelle zu setzen. Da die Zelle nur 20 Meilen von uns entfernt war, kamen wir relativ schnell an sie heran. Wir hatten die Hoffnung, dass sich die meisten Chaser auf die ausgereifte Zelle stürzen würden und wir in Ruhe die neue Zelle chasen könnten. Je näher wir an den interessanten Aufwindbereich herankamen, desto größer wurde der Chaseranteil auf der Straße. Das Radarbild zeigte zum ersten Mal ein Rotationszentrum für die Zelle an. Aus einem Rotationszentrum wurden schnell zwei und drei. Wir haben offensichtlich auf das richtige Gewitter gesetzt.

Links von uns wurde es dunkler. Der Niederschlagskern war mittlerweile voll ausgereift, wie man an seiner leicht grünlichen Färbung erkennen konnte. Vor dem Vorhang aus Regen und Hagel rotierten die Wolkenfetzen unterhalb der Basis sehr heftig. Wir kamen in den Ort Hennessey. Der Ort hatte wahrscheinlich noch nie so viele Menschen gesehen, wie in diesem Augenblick. Überall standen Chaser und richteten ihre Blicke nach Norden in Richtung der Mesozyklone.. Die Tornadosirenen waren mittlerweile in Betrieb gesetzt worden. Hier anhalten machte keinen Sinn. Wir konnten nichts sehen, weil die Sicht oft durch Häuser und Bäume verdeckt war, und hier war zu viel Betrieb, der eine eventuelle spätere Flucht verzögert hätte.

Die Polizeipräsenz nahm zu. Es kamen uns mehrere Fahrzeuge mit Blaulicht entgehen. Ein Grund mehr weiterzufahren, denn wir vermuteten, dass die Straße gleich aufgrund der vielen Chaser gesperrt würde. Wir kamen langsam aus der Ortschaft heraus. War unser mutmaßlicher Funnel eigentlich noch da? Wir schauten uns um. „Tornado auf 8 Uhr!“, rief einer im Auto.

 

 

 

 

Tatsache, da zog gerade ein gut auskondensierter Rüssel seine Bahn. Unser erster Gedanke war, hoffentlich trifft er nicht den Ort! Wir hielten an.. Da war er nun, der langersehnte auskondensierte Tornado! Ein Prachtexemplar eines Tornados. Es begann zu regnen. Zeit weiterzufahren. Die Straße hinter uns war nahezu leer. Die Polizei hatte sie also wirklich gesperrt.

Wir vergrößerten schnell den Abstand zum Tornado, dessen Konturen langsam undeutlicher wurden. Er wurde immer mehr vom Niederschlag und Dunst eingehüllt. Wir fuhren ein paar Meilen weiter und hielten wieder. Ein Inflow-Band von scheinbar endloser Länge führte der Zelle von Osten her Energie zu. Ein dumpfes Dauergrollen begleitete den aufkommenden Inflow-Wind, der später über 55 km/h in der Spitze betrug. Die Superzelle kam langsam auf uns zu und mit ihr die Chaserkolonne, die wohl wieder freigegeben worden war. Es wurde wieder Zeit die Fotosachen einzupacken und weiterzufahren, bevor wir im Pulk der anderen Chaser waren. Wir fuhren ein ganzes Stück nach Osten. Hier deutete nichts mehr auf den heftigen Gewittersturm hin, bis auf das Inflow-Band, dass sich immer noch parallel zur Straße befand. Wie lang mochte dieses Wolkenband wohl sein? 30 Meilen? Wir einigten uns auf unglaublich lang.

 

 

Länger als alles andere, was wir bisher an Inflow-Bändern gesehen haben. Dann kamen wir Ortseingangsschild Stillwater an. Schnell Autos betanken, pinkeln und Sandwich kaufen. In der Tankstelle war das näher kommende Unwetter das Thema Nummer eins. Plötzlich heulten die Tornadosirenen. Den Angestellten der Tankstelle merkte man die Nervosität an und wir trugen mal wieder nicht dazu bei sie zu beruhigen. In Windeseile rannten wir in den Autos und gaben Gas. Erstmal aus der Stadt kommen hieß unser Ziel. Als wir den Stadtverkehr hinter uns gelassen hatten, konnten wir wieder nach einem Standort Ausschau halten, der uns das Filmen und fotografieren der sich nähernden Superzelle möglich machte. So einen Standort zu finden, ist in dieser Gegend von Oklahoma nicht einfach. Entweder hat man keine Haltemöglichkeit oder keine Sicht, weil diese durch Bäume verdeckt ist. Endlich hatten wir einen Platz gefunden.

Es war die Einfahrt zu einem Grundstück. Wir waren kaum ausgestiegen, da kam schon die Hausbesitzerin auf uns zu. Aber anstatt uns wegzuscheuchen oder skeptische Fragen zu stellen, wollte sie uns lediglich darauf hinweisen, dass wir noch etwas Platz freihalten sollen, damit ihr Mann auf das Grundstück fahren kann. Sie fragte uns nach dem Wetter und ob wie heftig es werden wird. Ihr Mann kam kurz darauf nach Hause. Auch er zeigte sich sehr freundlich. Das Ehepaar bot uns sogar an im Falle eines Tornado,s ihren Schutzraum mitbenutzen zu dürfen. Wir lehnten dankend ab, denn in einer solchen Situation hätten wir lieber das Weite gesucht. Hier stellten wir wiederholt auf unserer Tour fest, dass die Leute hier sehr freundlich sind. Zudem genießen Chaser und Spotter hier einen ganz anderes Ruf als in Deutschland und wenn wir uns an einer Grundstücksgrenze aufgehalten haben, kamen zwar die meisten Eigentümer sofort aus dem Haus, aber nach kurzer Erläuterung unserer Absichten sind wir niemals aufgefordert worden zu verschwinden.

Ganz im Gegenteil: Viele wollen sich dann noch unterhalten, in der Regel natürlich über das Wetter. So auch das Ehepaar, an dessen Grundstück wir nun standen. Wir blieben dort noch eine ganze Weile stehen. Die Superzelle kam aus dem Dunstvorhang hervor und zeigte sich von ihrer bedrohlich schönen Seite. Die laminaren Strukturen kamen immer besser zur Geltung. Das lange Inflow-Band schaufelte immer noch Feuchtigkeit in das Gewitter hinein. Der Anblick dieser Zelle ließ uns vor Ehrfurcht fast erstarren. Sowas sieht man nicht oft in seinem Chaserleben. Dieser Augenblick war fast noch mehr wert als der Tornado, vor allem weil wir ihn ohne Hetze in vollen Zügen genießen und auf uns wirken lassen konnten. Die Superzelle, die wir von uns hatten, war nicht das Problem, sondern die zahlreichen anderen Zellen, die sich inzwischen bildeten. Überall brodelte jetzt der Himmel. Und es wurde Zeit sich einen Weg durch die Unwetter zu bahnen, ohne das der Hagel einen treffen würde.

Das Weather Radio brachte eine Warnung nach der anderen heraus. Wenn wir noch länger stehen geblieben wären, hätten wir uns der Gefahr ausgesetzt von mindestens einem Gewitter getroffen zu werden. Das ist eben das tückische an einem High Risk. Man muss höllisch aufpassen, sonst ist man früher oder später nicht mehr nur dabei, sondern mittendrin. Die Einwohner bereiteten sich darauf vor, ihre Häuser verlassen und in Schutzräumen Sicherheit suchen zu müssen. Sie packten ihre Rucksäcke mit dem nötigsten. Vor einigen Häusern standen Polizeifahrzeuge, um die Bewohner im Falle eines Falles schnell evakuieren zu können. Trotz aller Chaserfreude über Schwergewitter und ihren Begleiterscheinungen, stimmt der Anblick solcher Szenen einen sehr nachdenklich und bei allen Glücksgefühlen bei der Sichtung von Tornados, sollte man immer an die Menschen denken, die von dieser Naturgewalt betroffen sind.

Auf dem Weg zur Interstate entwickelten sich ständig neue Aufwinde direkt neben uns. Nur die Scherung verhinderte, dass sie mit Macht senkrecht nach oben schossen. Wir sollten wirklich schnellsten aus dem Gebiet der Konvektion herauskommen! Die Frage war, ob wir überhaupt noch einen Ausweg hieraus finden würden, oder ob uns die mächtigen Gewitter jegliche Fluchtwege zubauten. Wir erreichten die Interstate. Richtung Westen zeigte sich eine Lücke zwischen zwei mächtigen Superzellen. Wir witterten die Chance, zwischen ihnen durchfahren zu können, bevor sie die Lücke schlossen. Ab auf die Interstate Richtung Oklahoma City. Es sah gut aus, die beiden Zellen ließen uns passieren.Wir hatten wieder einmal ein Glück.

Wir hielten an und atmeten tief durch. Aber zum Aufatmen war es noch zu früh, denn es war nicht auszuschließen, dass die nördliche Zelle noch mal am südwestlichen Ende anbaut und uns ein Nachzügler trifft. Richtung Nordwesten wurde es schwarz. Eine bedrohliche Shelfcloud bewegte sich auf uns zu. Sie wirkte allerdings bedrohlicher als die Wettererscheinungen hinter ihr wirklich waren, denn sie hatte sich schon etwas von Niederschlagsgebiet der Superzelle abgelöst. Allerdings pustete uns der Wind fast von der Straße. Einige Böen erreichten mit Sicherheit über 90 km/h. Wir verlegten noch ein Stück und ließen die Sonne dann hinter den Fallstreifen untergehen. Begleitet von Mammaten neigte sich ein weiterer Chasingtag mit imposanten Eindrücken von den Naturgewalten der Great Plains dem Ende zu. Es sollte unser letzter Chasingtag auf dieser Tour sein, der mit der Tornadosichtung einen weiteren Wunsch in Erfüllung gingen ließ.

 

 

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